Mit guten Aufgaben zum Erfolg
16.04.2019Den Mathematikunterricht an unterfränkischen Grundschulen verbessern: Das ist das Ziel des Programms „SINUS an Grundschulen“. Koordiniert wird es an der Universität Würzburg; jetzt konnte es sein zehnjähriges Bestehen feiern.
„Mathematik ist doch nur ein anderes Wort für Rechnen.“ Und: „Auf das Ergebnis kommt es an. Wenn das nicht stimmt, gibt’s auch keine gute Note.“ Wer Dr. Angela Bezold mal so richtig in Rage versetzen will, muss ihr nur mit diesen Floskeln kommen. Bezold lehrt und forscht am Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU); eines ihrer Ziele ist es, den Mathematikunterricht zu verbessern und dessen Qualität zu steigern. Dafür engagiert sie sich seit vielen Jahren als Regionalkoordinatorin für das SINUS-Programm in Unterfranken. Auf seiner jüngsten Tagung Mitte März konnte das Programm jetzt ein Jubiläum feiern: Seit zehn Jahren trägt es dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler an Grundschulen von Aschaffenburg bis Haßfurt Mathematik nicht als Angstfach erleben.
Mathe ist kein Angstfach
Wobei „Angstfach“ auch schon wieder so ein Begriff ist, der Angela Bezolds Blutdruck in die Höhe treibt. „In der Grundschule ist Mathematik beliebt. Da gibt es keinen Unterschied zu anderen Fächern“, sagt sie. Die Schwierigkeiten kommen erst mit der Zeit – so ihre Erfahrung aus jahrelanger Tätigkeit als Lehrerin an einer Grundschule – und die Ursachen dafür liegen auf der Hand: „In der Mathematik baut neuer Stoff stark auf bereits vorhandenem Wissen auf“, erklärt die Didaktikexpertin. Wer also an einem Punkt nicht mitgekommen ist, werde sich mit den nächsten Schritten zwangsläufig schwertun. Das sei in einem anderen Fach, wie beispielsweise Heimat- und Sachkunde, anders, wo jedes neue Thema quasi wieder bei Null beginnt.
„Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts“: Mit diesem Ziel ist das bundesweite SINUS-Programm an den Start gegangen. Bayerische Grundschulen beteiligten sich seit dem Schuljahr 2004/05 daran, allerdings mit dem Fokus auf Mathematik. Unterfranken ist seit 2007 mit im Boot – zunächst mit dem Vorläufer SINUS-Transfer und seit 2009 im Programm „SINUS an Grundschulen“. Aus Sicht des verantwortlichen Kultusministeriums soll das Angebot dazu beitragen, die Unterrichtsqualität an den teilnehmenden Schulen zu erhöhen und so die mathematischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu steigern. Zentrales Anliegen sei „die Umsetzung der Kompetenzerwartungen des LehrplanPLUS und der Bildungsstandards“.
Gut 100 Grundschulen aus ganz Unterfranken haben in den vergangenen zehn Jahren am SINUS-Programm teilgenommen. Mehrere Lehrkräfte jeder Schule verpflichten sich dabei, über zwei bis drei Jahre hinweg regelmäßig an Fortbildungen teilzunehmen, die von Angela Bezold und den sie unterstützenden SINUS-Beraterinnen angeboten werden, Treffen der beteiligten Schulgruppen zu besuchen und zu den Regionaltagungen zu kommen. In dieser Zeit bilden sie sich zu einem bestimmten Aspekt aus dem Mathematikunterricht fort. Stand am Anfang das Thema „Gute Aufgaben“ im Mittelpunkt, widmete sich das Programm in den vergangenen Jahren ganz der Förderung rechenschwacher Kinder. Jetzt lautet das aktuelle Thema „Modellieren und Problemlösen im Sachrechenunterricht“.
Gute Aufgaben regen zum Forschen an
„Gute Aufgaben“: Was soll das denn sein? „Gute Aufgaben stellen den Kindern eine interessante Forscherfrage und regen sie beispielsweise dazu an, neue Beziehungen zu entdecken und damit spezielle Probleme zu lösen“, sagt Bezold. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Zahlenmauer, in der Steine im einfachsten Fall in drei Reihen aufeinandergetürmt sind. Die drei untersten Steine sind die sogenannten Grundsteine. Diese tragen beispielsweise die Zahlen 100, 200 und 300. Im ersten Schritt sollen die Kinder nun die Werte der restlichen Steine ausrechnen. Der Wert der Steine in der mittleren Reihe ergibt sich aus der Summe der beiden Steine, auf denen sie ruhen. Ein Stein steht an der Spitze. Sein Wert wiederum ergibt sich aus der Addition der Werte der beiden darunterliegenden Mittelsteine.
Bei dieser Aufgabe handelt es sich zunächst um eine „normale“ Rechenaufgabe. Erst eine Forscherfrage, die zum Entdecken und Experimentieren einlädt, macht sie zu einer „Guten Aufgabe“, so Bezold. So könnten die Fragen an die Kinder beispielsweise lauten: Wie viele verschiedene Mauern gibt es mit den drei Grundsteinen? Was fällt dir auf? Denn je nachdem, wie die Kinder die Zahlen in der Basis der Mauer sortieren, ergibt sich für den Stein an der Spitze ein anderer Wert – mal ist es 700, mal 800 und im dritten Fall 900.
Beschreiben und erklären ist wesentlich
„In diesem Fall sollen die Kinder beispielsweise den größten Deckstein entdecken“, sagt Bezold. Dafür müssen sie Strategien entwickeln, Beziehungen entdecken, kurz: eine gewisse Problemlösekompetenz zeigen. Wichtig sei auch das anschließende Darüber-Reden, wenn es darum geht, die eigene Entdeckung den Mitschülerinnen und -schülern zu beschreiben und zu erklären. Schließlich habe die Forschung gezeigt: Das Argumentieren und Sprechen tragen wesentlich dazu bei, dass die Kinder sich den neuen Stoff besser merken können.
Mit dem Unterricht, den Angela Bezold selbst als Schülerin erleben durfte, hat heutiger Unterricht so gut wie nichts mehr gemein. Sei früher das Ausrechnen tatsächlich zentraler Bestandteil des Mathematikunterrichts gewesen, würden korrekte Ergebnisse heute nur noch einen Teilaspekt darstellen. Genauso wichtig sei es, dass Kinder prozessbezogene Kompetenzen entwickeln, eben dass sie in der Lage sind, Gesetzmäßigkeiten zu entdecken und diese zu erklären. Natürlich sollen auch sie über Rechenkompetenz verfügen. Aber der Weg zum Ergebnis sei mindestens so wichtig wie das Ergebnis selbst. Oder, um einen Lieblingssatz Angela Bezolds zu zitieren: „Mathematik ist die Wissenschaft von Mustern“. Die Aussage von Keith Devlin, einem britischen Mathematiker und Wissenschaftsjournalisten, unterstreicht ihren Anspruch, dass Mathematik viel mehr ist als die Beschäftigung mit Zahlen und dem Rechnen.
Langer Weg von der Forschung in die Praxis
Wer heute Mathematik an einer Grundschule unterrichte, ja sogar, wer heute für das Grundschullehramt studiere, habe in den seltensten Fällen einen Unterricht erlebt, wie er mittlerweile eigentlich Standard sein sollte. Auch deshalb sei es so wichtig, dass mithilfe des SINUS-Programms das neue Wissen in die Schulen hineingetragen werde, sagt Bezold. Als der neue Lehrplan eingeführt wurde und das Schlagwort von den Kompetenzen für Unruhe sorgte, habe es viel Kritik von Lehrkräften gegeben, erinnert sich Bezold. „Das schaffen doch nur unsere guten Schüler“, habe sie damals oft zu hören bekommen. Die anfängliche Skepsis sei mittlerweile gewichen. „Jetzt empfinden viele Lehrkräfte, aber auch Studierende, die neue Herangehensweise als große Bereicherung.“
Sind zehn Jahre SINUS-Programm also eine Erfolgsgeschichte? Definitiv ja: „Als wir uns vor zehn Jahren mit Guten Aufgaben beschäftigt haben, galt dieser Aufgabentyp noch als exotisch“, erinnert sich Angela Bezold. Dass mittlerweile Gute Aufgaben oder auch Forscheraufgaben in den Schulbüchern auf der Grundlage des LehrplanPlus zu finden sind, macht sie stolz. Die SINUS-Philosophie habe im neuen Lehrplan für Bayerns Grundschulen ihren Niederschlag gefunden und komme jetzt im Unterricht an. Für die Didaktikexpertin ist das Grund zur Freude. „Es ist immer gut, wenn aktuelle Ergebnisse aus der Forschung in die Praxis Einzug halten“, sagt sie. Auch wenn dies bisweilen zehn Jahre dauern kann.
Kontakt
Dr. Angela Bezold, Lehrstuhl für Mathematik V (Didaktik der Mathematik)
T: +49 931 31-85597, bezold@mathematik.uni-wuerzburg.de